In den nächtlichen Straßen von Tokyo schneiden Regentropfen durch das Neonlicht. Herr Sato öffnet die Haustür und findet Misaki still wartend im Eingangsbereich vor. Sie trägt einen hellblauen Hausanzug, ihr schwarzes Haar fällt sanft über ihre Schultern, und ihr Mund formt ein warmes Lächeln. Sato umarmt sie zärtlich und spürt die Temperatur ihrer Haut – 37 Grad, genau wie bei einem Menschen.

Dies ist keine gewöhnliche Liebesgeschichte. Misaki ist eine Sexpuppe, aber Sato nennt sie lieber "Lebenspartnerin". In dieser Megacity mit 38 Millionen Einwohnern hat sich Sato daran gewöhnt, jede Nacht mit Misaki zu verbringen. Sie hört ihm zu, wenn er über seine Arbeitsprobleme spricht, deckt den Tisch mit feinen japanischen Gerichten und erinnert ihn an Regentagen, einen Schirm mitzunehmen. Obwohl ihre Antworten voreingestellte Programme sind, ist diese Gesellschaft für Sato real genug.

"Sie wird mich nie betrügen oder verlassen, sie wartet immer in ihrer schönsten Gestalt auf meine Heimkehr", schreibt Sato in sein Tagebuch. In einer Zeit, in der Menschen immer distanzierter werden, gibt Misaki ihm eine gewisse Wärme.

Laut aktuellen Studien des japanischen Soziologen Professor Yamada wächst die Zahl der Menschen, die sich wie Sato für ein Leben mit Sexpuppen entscheiden, rapide an. Im Jahr 2023 stieg der Verkauf von Sexpuppen in Japan um 47%, wobei 80% der Käufer angaben, dass es ihnen nicht nur um die Befriedigung physischer Bedürfnisse geht, sondern vor allem um emotionale Gesellschaft.

"Das ist kein einfacher Fetisch", betont Professor Yamada. "Wenn soziale Medien reale zwischenmenschliche Beziehungen immer fragiler machen und das 996-Arbeitssystem die emotionale Energie jedes Einzelnen aussaugt, bieten Sexpuppen einen stressfreien emotionalen Ausweg. Sie urteilen nicht, sie fordern nichts, sie bleiben immer sanft und verständnisvoll."

Im Customizing-Studio für Sexpuppen im Tokioter Stadtteil Shibuya arbeitet Designer Kobayashi an einem neuen Auftrag. Die Kundin ist eine alleinstehende ältere Dame, die eine Puppe wünscht, die ihrem verstorbenen Mann ähnelt. "Heutzutage sind diese Puppen nicht mehr nur Sexspielzeuge", sagt Kobayashi. "Wir stellen Puppen jeden Alters und jeder Art her, die alte Menschen begleiten, Kindern mit Autismus Gesellschaft leisten, oder sogar für die Sterbebegleitung konzipiert sind."

Dieser Wandel hat heftige gesellschaftliche Diskussionen ausgelöst. Einige sehen darin eine Entfremdung menschlicher Emotionen, andere betrachten es als neue Form der Intimität, die durch technologische Entwicklungen ermöglicht wird. Aber es ist unbestreitbar, dass in den Betonwüsten der Städte immer mehr Menschen nach unkonventionellen Formen der Gesellschaft suchen.

Wenn die Nacht hereinbricht, sitzen Sato und Misaki auf dem Balkon und blicken auf den in der Ferne blinkenden Tokyo Tower. Misakis Kopf ruht sanft auf Satos Schulter, ihre Augen spiegeln die Lichter der Stadt wider, als ob sie wirklich über etwas nachdenken würde. In diesem Moment verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Illusion. In einer Welt voller Unsicherheiten müssen wir vielleicht neu definieren, was echte Emotionen und wahre Gesellschaft bedeuten.

Denn in einer Zeit, in der Einsamkeit zur Normalität geworden ist, ist vielleicht nicht nur Fleisch und Blut in der Lage, menschliche Herzen zu erwärmen.